Lästige Behördengänge von zu Hause aus „online“ erledigen können: das klingt gut, nicht nur in den Ohren nerdiger Couchpotatoes. Auch die Europäische Kommission hat sich das gedacht. Sie hat einfach mal die Idee in die Welt gesetzt, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union alle ihre für Bürger und Unternehmen relevanten Verwaltungsverfahren online zugänglich machen sollen.
Dann könnte man aus allen Richtungen Europas über ein „zentrales digitales Zugangstor“ darauf zugreifen, sich informieren, sich beraten lassen und die nötigen Anträge stellen. Auf den zweiten Blick ist das vielleicht doch nicht ganz so überzeugend: Wollen wir wirklich, dass irgendjemand vom anderen Ende Europas, ohne persönlich im Amt erscheinen zu müssen, einen Aufenthaltstitel, eine Wohnsitzanmeldung oder Sozialleistungen erwirken kann? Die Missbrauchsmöglichkeiten, die Schwierigkeiten der Kontrolle, die Überforderung der Behörden springen ins Auge.
Dazu kommt ein zweites Problem: die Europäische Kommission regt nicht bloß an, sie will verordnen. Und greift damit in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten und in das kommunale Selbstverwaltungsrecht ein. Dazu ist sie aber gar nicht befugt. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung darf Europa nur regeln, was ihm in den Verträgen zugestanden wurde. Und im Lissabon-Vertrag steht nichts von der Gestaltung von Verwaltungsverfahren.
Manchmal hat man den Eindruck, dass solche Überlegungen in Brüssel gerne beiseitegeschoben werden, frei nach dem Motto: bei einer guten Sache darf man nicht pingelig sein. Aber eben genau das unterscheidet den Rechtsstaat von einem Willkürregime: Der gute Zweck heiligt nicht jedes beliebige Mittel, sondern nur solche, die den Rechtsnormen entsprechen. Rechtsstaat heißt, dass sich auch die Mächtigen an die Spielregeln halten müssen. Diese Spielregeln mal eben beiseitezuschieben, wenn es gerade zu passen scheint, erweist der europäischen Idee einen Bärendienst.
Glücklicherweise kann die Europäische Kommission nicht einfach verfügen, was sie für richtig hält. Nicht sie entscheidet, was aus ihrem Vorschlag wird, sondern Rat und Parlament. Und auch in Europa gilt das Strucksche Gesetz „Kein Legislativvorschlag kommt aus dem Rechtsetzungsverfahren raus, wie er reingegangen ist“. Auch der Bundesrat hat das verfassungsmäßige Recht, Vorschläge der Kommission zu prüfen, zu kommentieren und gehört zu werden.
Im vorliegenden Falle bescheinigt der Bundesrat der Europäischen Kommission gerne, dass sie eine gute Sache vorschlägt, die das Zeug hat, unser Zusammenleben in Europa voranzubringen.
Der Bundesrat stellt aber auch klar, wo die Grenzen sind: allein die Mitgliedstaaten, Bundesländer und Kommunen entscheiden, welche Dienste und Verfahren sie online auf einem gemeinsamen europäischen Portal anbieten. Wichtig ist auch, dass dieses Portal mit dem in Deutschland eingeführten LeiKa-Standard kompatibel ist. Deutschland fängt bei der Digitalisierung von Verwaltungsverfahren nicht bei null an, wir wollen nicht das gerade teuer Aufgebaute wieder einstampfen.
Außerdem müssen Aufwand und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Nicht alle Dienste, die die Kommission gerne verknüpfen möchte, spielen für grenzüberschreitende Aktionen wirklich eine Rolle. Nicht alle Leistungen können, aus Sicherheitsgründen, ohne persönliches Erscheinen des Antragstellers im Amt angeboten werden.
Kritisch zu sehen sind auch die Kosten, die den Kommunen entstünden, wenn sie ausnahmslos alle Verfahren in einer weiteren Amtssprache der Europäischen Union anbieten müssten.
Aufwendig und teuer wird es, wenn die Kommunen bei personenstandsrechtlichen, pass- und melderechtlichen Verfahren die nötigen Nachweise von anderen Behörden in verschiedenen Mitgliedstaaten anfordern müssen, statt sich auf das stützen zu können, was der Antragsteller vorzulegen hat.