Bernd Lange und Volker Schmidt im Zweitwohnclub
Ansichten zum Brexit aus Brüssel und der niedersächsischen Wirtschaft

- Berichtet aus Brüssel: Bernd Lange, Mitglied des Europäischen Parlaments
- Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer NiedersachsenMetall, sieht die wirtschaftliche Seite
- Niedersachsens Bevollmächtigter Michael Rüter begrüßt einen Gast in der „niedersächsischen Botschaft“
- Staatssekretär Michael Rüter führt in den Abend ein
- Der Zweitwohnclub hat mittlerweile viele Mitglieder
- Im Zweitwohnclub wird diskutiert
Im Zweitwohnclub am 11. Mai 2017 ging es in der Landesvertretung um die Frage, wie sich der Welthandel nach dem Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union entwickeln und wie sich die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten auf den weltweiten Handel und Wettbewerb auswirken wird.
Großbritannien ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Weit über 2500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen im UK und beschäftigen auf der Insel über 370 000 Beschäftigte. Man muss kein Prophet sein um vorherzusehen, dass nach dem Brexit auf niedersächsische Unternehmen außergewöhnliche Belastungen und Unsicherheiten zukommen werden.
Dazu gab es Informationen aus erster Hand von Europapolitiker Bernd Lange und NiedersachenMetallchef Dr. Volker Schmidt im Talk mit Moderatorin Isabell Christian aus Hannover.
Im Anschluss an die zweistündige Veranstaltung hat die Rundblick-Redakteurin ein exklusives Interview mit Bernd Lange, Europaabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments und Berichterstatter für das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, geführt.
Bernd Lange, Sie bezeichnen die sich abzeichnenden drastischen Einschnitte im Welthandel nicht als Katastrophe, sondern als Chance. Was macht Sie so optimistisch?
Das ist eine Chance für die Europäische Union und für ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung, weil durch den Brexit und auch durch die Wahl von Trump zum amerikanischen Präsidenten ein Weckruf da ist und wir wieder stärker über die gemeinsame Zukunft nachdenken und auch gemeinsam handeln. Und was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft ist klar, dass alle Daten, die den Brexit betreffen, sagen, dass der Vorteil innerhalb der EU liegt. Großbritannien hat sich ja in der Vergangenheit innerhalb der EU auch nicht immer kooperativ verhalten. Viele Gesetze wurden quasi ausgebremst. Alles das fällt weg. Und wenn wir die Chance nutzen, kann das in der Tat zum Vorteil der EU gereichen.
Was muss sich ändern? Aktuell sieht es so aus, dass es einen kalten Brexit gibt, d.h. Großbritannien wird aus handelspolitischer Sicht ein Drittstaat. Wie müssen Handelsverträge künftig gestaltet werden damit es für beide Seiten eine Win-win-Situation gibt?
Ich glaube, eine Win-win-Situation wird es nicht geben, der Verlierer wird Großbritannien sein. Aber wir wollen auch künftig vernünftige Handelsbeziehungen organisieren, weil wir auf anderen Gebiete nach wie vor enge politische Partner sind, denken sie an die NATO. Allerdings müssen wir darauf achten, dass die Prinzipien die für Verhandlungen mit Drittstärken gelten, auch mit Großbritannien gelten. Also beispielsweise die Frage von Lizenzen für Handel im Euro oder bei Versicherungen mit Zugang zum Binnenmarkt. Alles das fällt für den Finanzplatz Großbritannien und London künftig weg. Oder die Frage, wie es künftig mit Ursprungsregelungen für Kraftfahrzeuge aussieht. Die in Großbritannien produzierten Autos sind oft nur in sehr geringem Teil auch wirklich in Großbritannien produziert worden. Viele Zulieferteile kommen aus Europa. Alles Fragen, die geklärt werden müssen. Und zwar so geklärt werden müssen, dass der Schaden auch für Großbritannien gering bleibt. Denn am Ende bezahlen die Arbeitnehmer und die Verbraucher die ökonomisch- und politische Fehlentscheidung.
Trumps Wahl in Amerika, die Beinahe-Präsidentschaft von Le Pen in Frankreich aber auch die Brexit-Entscheidung der Briten zeigen, dass dort extrem gewählt wird, wo sich die Menschen abgehängt fühlen. Was kann man dagegen tun?
Wir müssen über die Form der Globalisierung nachdenken. Ich glaube, es ist völlig klar, dass eine globalisierte Ökonomie Wohlstand und höhere Löhne mit sich bringt und viele andere positive Effekte mehr. Aber es gibt auf der anderen Seite auch viele Verlierer der Globalisierung. Und wenn Globalisierung in den Ländern nicht vernünftig gemanagt wird, dann stagniert die Wirtschaft. In Frankreich können wir deutlich sehen, dass seit 10 Jahren die Jugendarbeitslosigkeit immer weiter steigt und aktuell bei 25 Prozent liegt. In dem Zeitraum sind in der Industrie 1,4 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. Also, die globalisierte Handelswelt muss ergänzt werden durch eine vernünftige gemeinschaftliche Politik. So, dass die sich „abgehängt“ fühlenden Menschen wieder integriert und mitgenommen werden. Deshalb ist es auch richtig, darüber nachzudenken, wie man Handelspolitik mit vernünftiger interner Politik ergänzt. Und dazu hat die Europäische Kommission gerade gestern ein interessantes Papier veröffentlicht, „Globalisierung gerecht gestalten“. Diese Gedanken sollten und müssen wir weiter entwickeln, nach außen und nach innen.
Das Problem kennen wir ja auch aus Europa, es gibt den reichen Westen und einen strukturschwachen Osten. Aus Bulgarien oder Rumänien kommen jedes Jahr tausende Arbeitssuchende zu uns. Ist es nicht Aufgabe der EU dafür zu sorgen, dass es dieses wirtschaftliche Gefälle irgendwann nicht mehr gibt?
Wir haben eine sehr umfassende Strukturpolitik und die muss greifen. Ein Beispiel, auch in Portugal hat es 10 Jahre gedauert, aber dann ist das Bruttosozialprodukt auch wirklich deutlich gestiegen. Die Geduld müssen wir haben. Auf der anderen Seite, schaut man sich einige Volkswirtschaften von weiterentwickelten Ländern der EU an, brauchen die mitunter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesen Ländern. Also das würde ich nicht so extrem sehen, dass dadurch nur Verwerfungen entstehen. Aber das muss gesteuert werden. Wir haben ja auch bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Möglichkeit gehabt, 11 Jahre lang eine Übergangszeit zu organisieren. Das haben fast alle Mitgliedsstaaten genutzt, außer Schweden und Irland, wo es ganz vernünftig organisiert war. Auch Großbritannien hat 2004 die Türen aufgemacht. Ich glaube, angesichts der damaligen Situation war das nicht richtig und die haben ja dann auch prompt einige Probleme bekommen. Nein, wir müssen sicherstellen, dass es eine vernünftige ökonomische Entwicklung in allen Mitgliedsländern gibt, verbunden mit Ausgleichsmöglichkeiten. Das machen wir in der Bundesrepublik Deutschland ja auch, da gibt es starke und schwächere Bundesländer.
Das heißt, die EU verteilt Geld um?
Das hat nichts mit Geldumverteilungen zu tun. Sondern wir schauen, wo die eigentlichen Stärken liegen. Deshalb sind Strukturfonds eng an die Frage von Infrastruktur, Innovation und Qualifizierung gebunden. Zudem haben wir einen neuen Investitionsfond, den EFSI, den wir in der zweiten Auflage erweitern werden und wo genau diese Investitionspolitik präzisiert wird. Das ist richtig und notwendig, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stärken. Gerade wenn man sich Deutschland anschaut, mit seinen sehr hohen Exportzahlen in der Automobilwirtschaft, dem Maschinenbau und selbst bei den erneuerbaren Energien. Dann sind wir von einem Markt in der EU abhängig, der stabil ist und Nachfragemöglichkeiten hat. Deswegen ist die wirtschaftliche Entwicklung in den anderen Ländern auch in unserem ureigenen Interesse.
Das Interview führte Isabell Christian, Redakteurin vom Rundblick in Hannover.
Fotos: Torsten Heitmann (LV)