Europäische Kommission will territoriale Typologien
Ist der Landstrich eher städtisch oder eher ländlich strukturiert?

Revolutionen sollte man vorbereiten, ohne den Gegner zu wecken – das gilt auch für „Revolutionen von oben“. Eine Möglichkeit ist, Vorbereitungen hinter Fachchinesisch, Beamtendeutsch und Begriffen zu verstecken, die beim Leser Gähnen erzeugen und zum Weiterblättern verleiten. „Territoriale Typologien“ ist Beamtendeutsch, „Statistik“ kling auch nicht ermutigend. Dabei sind Statistiken hoch gefährlich. Falsch verstanden oder falsch interpretiert liefern sie Scheinargumente und „alternative Fakten“ für die abwegigsten Behauptungen.
Schlimmer noch: Statistiken, richtig angewandt, liefern Fakten, die Glaubenssätze und Weltanschauungen erschüttern können. Und dann richtig wehtun. Zum Beispiel könnten Fakten zur Prosperität ländlicher Räume empirisch das Paradigma widerlegen, dass der ländliche Raum in Deutschland grundsätzlich der staatlichen Förderung bedarf. Vor solchen Fakten müssen sich alle fürchten, die fördern oder gefördert werden wollen.
Die Europäische Kommission hat kürzlich einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, mit dem sog. „territoriale Typologien“ in die bestehende NUTS-Klassifikation der EU integriert werden sollen. Die NUTS-Klassifikation teilt das Hoheitsgebiet aller europäischer Staaten in Verwaltungseinheiten, in Deutschland also: Bundesländer, Regierungsbezirke, Kreise, Gemeinden.
Mit den „territorialen Typologien“ sollen nun zusätzlich Landstriche danach klassifiziert werden, ob sie eher städtisch oder ländlich strukturiert sind, einer Metropole zuzuordnen sind, an der Küste liegen und dünn oder dicht besiedelt sind. Die Kommission beruhigt: diese neue Klassifikation soll nur statistischen Zwecken dienen. Aber ist das wirklich beruhigend? „Statistik“ heißt doch: man will Daten sammeln, zum Beispiel zu den Lebensverhältnissen, um Argumente zu munitionieren. Klar ist: mit dem Brexit – dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – wird Geld im EU-Haushalt fehlen, und damit auch Geld in den Strukturfonds, aus denen Regionen gefördert werden. Der für den EU-Haushalt zuständige Kommissar Oettinger hat bei einem Besuch im EU-Ausschuss des Bundesrates bereits angekündigt, dass dies bedeutet, dass die Strukturfondsmittel stärker als bislang auf die wirklich bedürftigen Regionen konzentriert werden müssen. Diese wirklich bedürftigen Regionen dürften aber, im europäischen Vergleich, eher in Rumänien als in Südoldenburg zu finden sein.
„Nachtigall, ick hör dir trapsen!“ Der Bundesrat hat die – absehbaren – Konsequenzen des Kommissions-Vorschlags bedacht und vorbeugend Stellung genommen. Territoriale Typologien, so heißt es in der Stellungnahme, „werden nicht nur für statistische Zwecke genutzt, sondern dienen üblicherweise auch als analytisches Werkzeug der Raumentwicklung und können so schnell politik- und förderrelevant sein.“
Sie müssten deshalb mit den Mitgliedstaaten und den Regionen abgestimmt werden. Es sei „nicht absehbar, wie sich eine inhaltliche Veränderung der Gebietskategorien beispielsweise auf die Fördermittelallokation und deren Distribution auswirken würde.“ Es sei zu befürchten, dass territoriale Differenzierungen … zu einer kleinräumigen Förderpolitik und einer Einschränkung der Flexibilität führen könnten.