Bundesrat fordert eindeutige Regelungen für das automatisierte Fahren
Haftungsfragen und erlaubte fahrfremde Tätigkeiten regeln

Der Bundesrat hält eine grundlegende Überarbeitung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs zum hoch- und vollautomatisierten Fahren für erforderlich. Er hält die dort getroffenen Regelungen für unklar und bemängelt auch, dass die noch bestehenden Risiken in hohem Maß auf die Fahrerinnen und Fahrer abgewälzt werden.
Um Akzeptanz für die zukunftsweisende Technologie zu schaffen, sind nach Auffassung des Bundesrates eindeutige Regelungen insbesondere zu den Fragen der Verantwortlichkeit und der Haftung der Fahrerinnen und Fahrer unentbehrlich. Auch für die Automobilindustrie seien klare Festlegungen zum Rahmen des Zulässigen notwendig, damit die Unternehmen ausreichend Planungssicherheit für die weiteren technischen Entwicklungen haben. Schließlich seien die Fragen der Kontrolle und der Haftung auch für die Polizei, die Verkehrsbehörden sowie letztlich auch für die Versicherungswirtschaft von erheblicher Bedeutung.
Wesentliche Elemente des Gesetzentwurfs
Die technische Entwicklung im Automobilbau hat sich in den letzten Jahren stetig beschleunigt. Von reinen unterstützenden Systemen geht die Entwicklung zunehmend zu Systemen, die die Aufgaben der Fahrzeugsteuerung in automatisiert ablaufende Fahrphasen überführen können. Derartige automatisierte Systeme werden – abhängig vom Grad der Automatisierung – als hoch- oder vollautomatisierte Systeme bezeichnet.
Mit dem Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG-E) will die Bundesregierung die Zulassung von Kraftfahrzeugen, bei denen hoch- oder vollautomatisierte Systeme für eine bestimmte Zeit die Steuerung übernehmen, ermöglichen. Der Gesetzentwurf regelt das Zusammenwirken zwischen derartigen Kraftfahrzeugen und den Fahrerinnen und Fahrern. Er definiert Kraftfahrzeuge mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion, bestimmt Rechte und Pflichten der Fahrerinnen und Fahrer und trifft Regelungen zu Haftungsfragen. Die Verantwortung bleibt bei den Fahrerinnen und Fahrern, sie sollen jederzeit eingreifen können und müssen.
Der Bundesrat vermisst eindeutige Regelungen
Der Bundesrat befürchtet, dass der Gesetzentwurf angesichts der Verwendung einer Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen sowie fehlender bzw. ungenauer Definitionen nicht zu Rechtssicherheit führt.
„Bestimmungsgemäße Verwendung“ definieren
- 1a Absatz 1 StVG-E erklärt den Betrieb eines Kraftfahrzeugs mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion bei „bestimmungsgemäßer Verwendung“ für zulässig. Eine Definition dieses Begriffes enthält der Gesetzentwurf nicht. Der Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich entnehmen, dass es auf die Vorgaben des Fahrzeugherstellers ankommt, in welchen Verkehrssituationen die hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktion eingesetzt werden kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Begriff im Gesetz klar definiert werden.
Wieder-Übernahme der Fahrzeugsteuerung konkretisieren
In § 1b Nummer 2 StVG-E wird darauf abgestellt, dass die Fahrzeugsteuerung wieder übernommen werden muss, wenn die Fahrerin/der Fahrer „auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung … nicht mehr vorliegen“. Es bleibt unklar, wann offensichtliche Umstände vorliegen, weil nicht geregelt wird, welchen Grad an Aufmerksamkeit Fahrerinnen und Fahrer beim Einsatz von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen überhaupt an den Tag zu legen haben.
Müssen die Fahrerinnen und Fahrer Fahrverhalten und Verkehr die ganze Zeit überwachen, auch wenn das System fährt? Dann sind schon Umstände offensichtlich wie beispielsweise nicht rechtzeitig erkannte Verkehrszeichen und dadurch bedingte Geschwindigkeitsüberschreitungen, bei denen die Fahrerinnen und Fahrer wieder übernehmen müssen. Müssen Fahrverhalten und Verkehr nur teilweise überwacht werden, dann sind zum Beispiel erst Umstände wie plötzlicher Schneefall offensichtlich. Wenn aber Fahrerinnen und Fahrer sich für die Dauer des hoch- oder vollautomatisierten Fahrens vom Fahrgeschehen gänzlich abwenden dürften, wären erst Umstände offensichtlich wie das Blinken sämtlicher Warnleuchten im Fahrzeug.
Erlaubte fahrfremde Tätigkeiten regeln
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es sich empfehlen dürfte, konkret zu regeln, welche fahrfremden Tätigkeiten bei der Nutzung von hoch- und vollautomatisierten Systemen im Straßenverkehr auf öffentlichen Straßen erlaubt sind. So muss beispielsweise auch die Frage geklärt werden, ob Fahrerinnen und Fahrer ihre Handys beim Einsatz eines automatisierten Fahrsystems nutzen dürfen oder ob sie insoweit weiterhin ordnungswidrig handeln.
Anforderungen an die Herstellervorgaben festlegen
Die Fahrerinnen und Fahrer sollen sich vor Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion darüber informieren müssen, in welchen Situationen sie die Fahrfunktionen nutzen dürfen, und zugleich sicherstellen müssen, dass diese Voraussetzungen bei Aktivierung der Fahrfunktion vorliegen. Dann sollte auch geregelt werden, wo der Fahrzeugführer die verbindlichen Verwendungsvorgaben des Herstellers finden kann und auf welche Vorgaben des Herstellers er sich – als technischer Laie – verlassen darf.
Hersteller in die Verantwortung einbeziehen
Der Bundesrat bedauert, dass der Gesetzentwurf keinerlei Spezialregelung für die Hersteller-Haftung von Fahrzeugen mit hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen vorsieht. Es bleibt gänzlich unberücksichtigt, dass die Autohersteller für das einwandfreie Funktionieren der von ihnen entwickelten und in Verkehr gebrachten automatisierten Assistenzsysteme verantwortlich sind. Im Gegensatz zu den Autoherstellern werden die Fahrerinnen und Fahrer durch zusätzliche Pflichten, aber nicht zuletzt auch durch die zu erwartende Prämienerhöhung im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung ungebührlich hoch belastet. Der Bundesrat hält es daher für notwendig, die Gefährdungshaftung proportional zum Grad der Automatisierung des Fahrsystems auf den Hersteller auszudehnen.
Keine speziellen Haftungshöchstbeträge einführen
Der Bundesrat will im Übrigen auf die Einführung besonderer erhöhter Haftungshöchstbeträge speziell für Fälle, in denen der Schaden auf Grund der Verwendung einer hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion verursacht wurde, verzichten. Aus Sicht des Geschädigten spielt es für den Schadenseinschlag weder bei Personen- noch bei Sachschäden eine Rolle, auf welche Ursache der Schadenseintritt zurückzuführen ist. Die Einführung würde auch für ein uneinheitliches Haftungssystem sorgen, indem ‑ anders als bisher ‑ faktisch nach Fahrzeugtyp und einzelfallbezogen nach der Schadensursache differenziert würde.
Datenverarbeitungsregelung komplett überarbeiten
Ferner fordert der Bundesrat eine umfassende Überarbeitung der neu geschaffenen Datenverarbeitungsregelung. Mit der Aufzeichnung, wann das automatisierte System zur Fahrzeugsteuerung eingeschaltet war und wann nicht, und wann das automatisierte System die Fahrerin/den Fahrer zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufgefordert hat, soll sichergestellt werden, dass sich die Fahrerin/der Fahrer nicht pauschal auf ein Versagen des automatisierten Systems berufen kann. Die Regelung lässt nach Auffassung des Bundesrates eine Vielzahl von dringend zu klärenden Fragen offen.
Die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, zu der die Bundesregierung eine Gegenäußerung abgeben wird, geht jetzt dem Deutschen Bundestag zu.