„Verständliche Sprache in der Justiz – Widerspruch oder Notwendigkeit?“
Mit Pilotprojekt gegen Juristendeutsch

- Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch- Lennartz begrüßt die Gäste und beschreibt die Situation
- Diskussion im Fishbowl- Gabriele Lösekrug-Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im BMAS, hat das Wort
- Rainer Petzold, Präsident des Landesjustiz- Prüfungsamtes, bei einem Beitrag
Große Resonanz erfuhr der Parlamentarischer Abend „Verständliche Sprache in der Justiz – Widerspruch oder Notwendigkeit?“, der am 16. Januar in der niedersächsischen Landesvertretung stattfand. Rund 150 Gäste diskutierten im sogenannten Fishbowl. Bei diesem Veranstaltungsformat wird von Anfang an ein freier Platz für Gäste vorgehalten. So war es jedem der Zuhörerinnen und Zuhörer möglich an der Runde teilzunehmen, Fragen zu stellen und Meinungen zu äußern. Von dieser Möglichkeit wurde reger Gebrauch gemacht.
In ihrem Impulsvortrag nannte Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz, gemeinsam mit Niedersachsens Bevollmächtigtem Michael Rüter Gastgeberin des Abends, Sprache den essenziellen Bestandteil der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung heiße nicht umsonst so, da Recht durch Sprache Wirklichkeit werde. Gleichwohl sei das „Juristendeutsch“ eine Fachsprache. Niewisch-Lennartz verwies jedoch darauf, dass diese Fachsprache für Viele eine große Hürde darstelle. Deswegen habe das niedersächsische Justizministerium ein Pilotprojekt „Leichte Sprache in der niedersächsischen Justiz“ gestartet und wolle dieses weiter vorantreiben. Es habe zusammen mit dem Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Universität Hildesheim und dem Amtsgericht Hildesheim ein Pilotprojekt aufgelegt, bei dem justizbezogene Texte nach wissenschaftlichen Grundsätzen in Leichte Sprache übersetzt würden. Darüber hinaus helfe künftig ein Computerprogramm (TextLab) Richterinnen und Richtern, sich verständlicher auszudrücken.
Als weitere Diskutantinnen und Diskutanten nahmen teil: Gabriele Lösekrug-Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Prof. Christiane Maaß, Medienlinguistin von der Universität Hildesheim. Maaß wirkte auch an der Übersetzung einiger Texte des Amtsgerichtes Hildesheim in Leichte Sprache mit. Des Weiteren: Dr. Anikar Haseloff, Geschäftsführer und Mitbegründer von H&H Communications Lab. Das Unternehmen, entwickelte TextLab, ein Computerprogramm, das Unternehmen, Verwaltung und Justiz dabei helfen soll, sich klarer und verständlicher auszudrücken. Stefan Hesse, der Direktor des Amtsgerichtes Hildesheim war es, der das Pilotprojekt „Leichte Sprache in der Justiz“ in seinem Haus unterstützte. Sowie Rainer Petzold, der als Präsident des niedersächsischen Landesjustizprüfungsamtes für die Ausbildung junger Juristinnen und Juristen zuständig ist.
In der Diskussion kam es zu einer Betrachtung der schwierigen Abwägung zwischen juristischer Bedeutung und alltäglichem Verständnis. Staatssekretärin Lösekrug-Möller verwies drauf, dass es ca. sechs Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland gäbe. Diese von Rechtsfragen auszuschließen, sei keine plausible Option.
Nachdem zuvorderst die weitgehend positiven Erfahrungen aus dem Pilotprojekt in Hildesheim beschrieben wurden, stieg mit Thomas Eigenthaler, Vorsitzender der Steuergewerkschaft, auch schon der erste „Überraschungsgast“ in die Runde ein. Er erinnerte daran, dass nicht nur die Juristen, sondern auch die Finanzverwaltung oft in unnötige Konflikte käme, weil ein Verwaltungsschreiben nicht verständlich genug formuliert ist. Er bedauerte, dass junge Auszubildende oftmals schon nach wenigen Wochen die komplizierte Sprache ihrer Kollegen annähmen. Diese Erfahrungen bestätigte der Präsident des niedersächsischen Landesjustizprüfungsamtes Rainer Petzold und sah die Notwenigkeit, in der juristischen Ausbildung stärker darauf zu achten.
Von einigen Teilnehmern wurden aber auch Bedenken geäußert. Eine Sorge war, dass sich juristische Laien möglicherweise auf die vereinfachten Texte berufen könnten und so Entscheidungen träfen, die sie später bereuen würden. Hiergegen erwiderte Prof. Maaß, dass vereinfachte Texte natürlich ein Kompromiss seien. Im Ergebnis sei es jedoch besser, wenn die Menschen zumindest etwas verstehen, gegenüber dem, dass sie gar nichts verstehen.
Fotos: Yorck Maecke, Berlin, für die Landesvertretung Niederschsen