Grüne Woche: Niedersachsen- Abend und Zukunftswerkstatt
Nachhaltigkeit, Werteorientierung und Wertschätzung in der Landwirtschaft
Niedersachsen in Berlin: das muss nicht immer die Landesregierung sein, und das muss auch, räumlich gesehen, nicht nur „In den Ministergärten 10“, dem Sitz der Landesvertretung, stattfinden. Alljährliche Highlights niedersächsischer Präsenz in Berlin sind z.B. auch die Niedersachsenhalle auf der „Grünen Woche“ – der Berliner Landwirtschafts- und Ernährungsmesse – und, ebenfalls dort, die „Zukunftswerkstatt“ und der „Niedersachsenabend“. Alle drei werden von der Marketinggesellschaft der Niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft e.V. organisiert und durchgeführt. Fast jeder Messebesucher kommt durch die Niedersachsenhalle, viele Lobbyisten wären gerne auf dem „Niedersachsenabend“ dabei. Die „Zukunftswerkstatt“ hingegen ist ein Geheimtipp. Aber einer, den man weitererzählen sollte.
Auffallend an der diesjährigen Ausgabe der Zukunftswerkstatt war das ungewöhnlich starke Aufgebot an niedersächsischer Politikprominenz: erstmals war ein amtierender Ministerpräsident (Stephan Weil) dabei, dazu noch einer, der das werden will (Bernd Althusmann), zwei amtierende Minister (Olaf Lies, Christian Meyer), wenigstens zwei ehemalige Landwirtschaftsminister (Uwe Bartels, Heiner Ehlen) und ein möglicherweise zukünftiger (Helmut Damman-Tamke) wurden gesichtet. Begründet wurde dies mit einer günstigen Sitzungsplanung des Landtags. Vermuten lässt sich, dass auch das Näherrücken der nächsten Landtagswahl eine nicht unerhebliche Rolle spielte.
Nachhaltigkeit, Werteorientierung, Wertschätzung – diese Begriffe fassen die Essenz der Vorträge und Diskussionen dieser Zukunftswerkstatt zusammen: der Weg, auf den Veranstalter und Referenten die Landwirtschaft schicken wollen. Eine positive mutmachende Agenda, deren Stimmung aber offenbar auf Landvolk-Vizepräsident Ulrich Löhr nicht abgefärbt hatte. Der sollte eigentlich die Gäste begrüßen, ließ sich dann aber zu einem Politik-Bashing der eher konventionellen Art hinreißen.
Wohl auch nicht erwartet hatten einige Zuhörer den Ton, den Landwirtschaftsminister Christian Meyer in seinem Grußwort anschlug: Verständnis und Wertschätzung für die Landwirtschaft. Landwirte hätten anständige Preise für ihre anständige Arbeit verdient. Lebensmittel stellen einen realen Wert dar, der wertzuschätzen sei. Wertschätzung, die sich in einem angemessenen Preis auszudrücken habe. Von daher seien Lebensmittel aktuell zu billig. Meyer dankte den Landwirten und allen, die daran mitgewirkt haben, dass Niedersachsen seinen Tierschutzplan abarbeiten konnte. Die niedersächsische Landwirtschaft sei inzwischen aus dem Kürzen der Legehennenschnäbel ausgestiegen. Niedersachsen sei heute Marktführer bei Bioeiern und Freilandeiern. Und auch den Antibiotikaeinsatz habe man in nur eineinhalb Jahren um die Hälfte einschränken können. Und natürlich sagte Landwirtschaftsminister Meyer auch noch, wo die Reise hingehen muss: Dahin, dass öffentliche Gelder nur noch für öffentliche Leistungen ausgegeben werden, weil die Einkommen durch anständige Preise gedeckt werden. Dahin, dass Landwirte Planungssicherheit beim Bau tiergerechter Ställe und bei der Düngung bekommen. Dahin, dass man aus Klimaschutzgründen die Düngung reduzieren kann, weil es Weizensorten gibt, die auch dann noch gute Backqualität liefern. Es gehe bei der „Nachhaltigkeit“ der niedersächsischen Landwirtschaft längst nicht mehr um das „ob“, sondern inzwischen nur noch um das „wie“. Ob alle Hörer im Saal das auch so sahen?
Wie Nachhaltigkeitsstrategien verwirklicht werden können – und welche Chancen darin liegen – zeigte Prof. Matthias Kussin von der Hochschule Osnabrück. Er hatte früher einmal für die Energiebranche gearbeitet – auch die hat bekanntlich auf schmerzhafte Weise Nachhaltigkeit erst lernen müssen. Anhand der Leitsätze „Ohne Herausforderung keine Nachhaltigkeit“, „Ohne Konflikt keine Nachhaltigkeitsstrategie“ und „Ohne Einigkeit kein Erfolg“ erzählte Kussin die Erfolgsgeschichten konkreter Start-ups der Lebensmittelwirtschaft: vom Gänsehof Claßen, von der Bugfoundation, vom Direktvermarkter „Green Farmer“.
In der anschließenden Diskussion konnten dann auch etablierte Unternehmen wie McDonalds, Frosta und Nordzucker erläutern, wie sie es geschafft haben – und immer noch täglich daran arbeiten – ihre Produkte und ihre Produktion nachhaltiger zu machen. „Es sind die vielen täglichen Schritte, nicht der eine große Sprung“ – so das Resümee dieses Gesprächs. Vielleicht liegt hier das Rezept für die sogenannte „konventionelle“ Landwirtschaft und die Agrarpolitik, die eine „Agrarwende“ hinkriegen müssen, ohne sich auf die Seite zu legen.
Foto: Internationale Grüne Woche Berlin