Machenschaften der Stasi Thema in der Landesvertretung
Angela Marquardt liest aus „Vater, Mutter, Stasi- mein Leben im Netz des…

Angela Marquardt liest aus „Vater, Mutter, Stasi- mein Leben im Netz des Überwachungsstaates“
- Angela Marquardt liest aus ihrem Buch „Vater, Mutter, Stasi“
- Staatssekretär Michael Rüter erinnert sich in seiner Begrüßung an eigene Begegnungen mit der Stasi
- Angelika Henkel vom NDR moderierte die Gesprächsrunde
- Dr. Hans-Jürgen Grasemann berichtet
- Dr. Silke Lesemann stellt als Vorsitzende der Enquetekommission deren Aufgabe vor
- Die Podiumsgäste mit dem Hausherrn Michael Rüter
- Die Stasi-Unterlagenbehörde zu Gast mit einem eigenen Infostand
- Dr. Silke Lesemann auf dem Podium
- Die Podiumsrunde diskutiert die Machenschaften der Stasi
- Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi- Unterlagen
- Rolf Wernstedt berichtet aus seiner Zeit als Landesminister und seiner Jugend in der DDR
- Mitglieder der Enquetekommission „Machenschaften der Stasi“ des niedersächsischen Landtags
Die Landesvertretung Niedersachsen nahm den 25. Jahrestag der deutschen Einheit zum Anlass, bei einem Themenabend den Blick auf zwei Handlungsbereiche des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR zu lenken, die weniger im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen: Die Machenschaften der Stasi in Niedersachsen und ihr Missbrauch von Jugendlichen.
Auch im so genannten „Operationsgebiet“, zu dem Westdeutschland gehörte, bespitzelte das MfS im Auftrag der SED Menschen. Insbesondere an Niedersachsen bestand dabei großes Interesse: Ende der 1980er-Jahre sollen mindestens 200 Menschen zwischen Elbe und Ems in Diensten des MfS gestanden haben.
Das MfS schreckte auch nicht davor zurück, Minderjährige anzuwerben und für die geheimpolizeiliche Arbeit einzusetzen. Man vermutet eine Größenordnung von etwa 500 jugendlichen inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Endphase der DDR.
Staatssekretär Michael Rüter, Bevollmächtigter des Landes Niedersachsen, wies am Abend in seinem Grußwort darauf hin, dass Niedersachsen der „Westfrontstaat“ war mit der längsten Grenze zur DDR. Hierin liege ein Grund für das große Interesse des MfS an Niedersachsen.
Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Dr. Silke Lesemann stellte in einem kurzen Vortrag die Arbeit der Enquetekommission des Niedersächsischen Landtags vor. Dr. Lesemann ist als Historikerin die Vorsitzende der Enquetekommission und Sprecherin für den Bereich Wissenschaft und Kultur der SPD-Fraktion in Hannover. Im Februar 2015 setzte der Niedersächsische Landtag die 17-köpfige Enquetekommission „Verrat an der Freiheit – Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ ein. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, die Handlungen des MfS in Niedersachsen und die Kollaboration von Bürgerinnen und Bürgern mit dem autoritären Unrechtsregime der DDR aufzuarbeiten.
Die Kommission, die sich aus Landtagsabgeordneten aller Fraktionen und Sachverständigen zusammensetzt, hatte vor Veranstaltungsbeginn in der Landesvertretung getagt. Sie sieht sich in einer Vorreiterrolle im Sinne der politischen Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit, denn bisher gibt es noch keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Machenschaften des MfS in Westdeutschland. Die Kommission hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, ihre Ergebnisse im Jahr 2017 unter anderen in einer dreibändigen Dokumentation zu veröffentlichen. Ein wichtiges Anliegen stellt also die Vermittlungsarbeit und politische Bildung vor allem der Jugend dar.
Angela Marquardt, Autorin und Geschäftsführerin der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion, erlebte die Repressalien des MfS persönlich: Im Alter von 15 Jahren soll sie sich laut einer MfS-Akte zur Zusammenarbeit verpflichtet haben. Ihre Geschichte schrieb sie in „Vater, Mutter, Stasi. Mein Leben im Netz des Überwachungsstaates“ nieder, woraus sie Auszüge vorlas. Eindrücklich berichtete sie darüber, wie sie als Jugendliche familienbedingt (durch Mutter und Stiefvater angestoßen) beim MfS „ausgebildet“ werden sollte, um kirchliche Kreise in Greifswald zu infiltrieren.
Im Anschluss moderierte die NDR-Redakteurin Angelika Henkel, die mit ihren Recherchen die Machenschaften des MfS in Niedersachsen ans Licht der Öffentlichkeit geholt hat, eine Podiumsdiskussion zum Thema.
Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, geht es bei der Auseinandersetzung mit der Stasi nicht um Abrechnung, sondern Aufklärung. Dies heiße aber nicht, die Menschen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Der Einzelne müsse seine individuelle Verantwortung übernehmen. Es gehe nicht um die Akten allein, sondern um die Schicksale der Menschen. Er sprach sich gegen Schwarz-weiß-Malerei aus.
Dr. Silke Lesemann machte darauf aufmerksam, dass uns das Thema vor Augen führe, dass das Demokratiebewusstsein immer wieder geschärft werden müsse. Die Demokratie bedarf der Selbstvergegenwärtigung.
Angela Marquardt betonte auch, dass die Geschichte der Stasi uns heute vor Augen führe, dass Demokratie nichts Selbstverständliches sei. Es sei derzeit en vogue, Politiker und unsere Demokratie in Frage zu stellen. Sie warnte zudem davor, die Stasi mit der NSA, quasi als Stasi 2.0, gleichzusetzen. Dies sei falsch und schade der Debatte um Demokratie.
Rolf Wernstedt, ehemaliger niedersächsischer Kultusminister und Landtagspräsident, war mehrfach mit seiner Erfahrung als Bildungspolitiker gefragt. Er konnte aber auch aus eigener Erfahrung von einem „Reden und Denken mit zwei Gesichtern“ berichten. Die griffige Formulierung von Christa Wolf nutzte Wernstedt, um von der eigenen Kindheit und Jugend in Ostdeutschland zu berichten, die immer wieder von ihm verlangte, in der Öffentlichkeit seine Meinung nur eingeschränkt zu vertreten. Die große Errungenschaft der Demokratie sei eben jene Meinungsfreiheit, diese müsse jedoch kontinuierlich gepflegt und verteidigt werden.
Dr. Hans-Jürgen Grasemann, ehemaliger stellvertretender Leiter und Sprecher der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter und Sachverständiger der Enquetekommission „Verrat an der Freiheit…“ und engagiert für die Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte, machte sich für eine altersgerechte Vermittlung stark. Eine Aula voll Schülerinnen und Schüler für die Geschichte zu interessieren sei gleichsam mühsam wie lohnend.
Eine Sichtweise, die alle Diskutanten teilen. Es sei zentrale Aufgabe aller, die Sinne für die deutsche Geschichte zu schärfen und die Demokratie und ihre Stärken zu nutzen und zu hüten.
Fotos: Yorck Maecke, Berlin, für die Landesvertretung Niedersachsen