Die Kartoffel – Welt der Wunder
Pflanzkartoffelverordnung soll geändert werden „Wenn man einen Sack Kartoffeln isst, dann ist…

Pflanzkartoffelverordnung soll geändert werden
„Wenn man einen Sack Kartoffeln isst, dann ist man auch tot.“ Dieser verbraucherpolitische Kommentar des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist nicht falsch. In der Tat bietet die Kartoffel viele interessante Möglichkeiten, sich aus der Welt zu befördern. Im Grunde reicht schon eine einzige, die einem im Halse steckenbleibt und die Luftröhre verschließt. Gefährlich, das weiß Kretschmann sicherlich, sind die grünen. Grüne Kartoffeln, wie auch grüne Tomaten enthalten das giftige Alkaloid Solanin. Rund ein Pfund kleiner grüner Kartoffeln dürfte für erste Übelkeit sorgen. Der Verzehr von etwa fünf Kilo roher ungeschälter Kartoffeln sollte genügen, dass man sich die Knollen von unten anschaut.
Entschieden lustvoller ist die Selbstschädigung durch Schwarzbrennerei von Kartoffelmaische zu Wodka. Angaben im Internet lassen vermuten, dass fünf Kilo Kartoffeln eine Flasche Wodka in handelsüblicher Stärke ergeben. Die LD50 für Ratte, oral, von Ethanol wird mit 7060 mg/kg angegeben. Ich spare mir die Umrechnung in LD50 für Mensch, oral, von Kartoffeln. Dem ungeübten Trinker dürfte, überschlägig, das schnelle Trinken einer einzigen Flasche Kartoffelschnaps zu Koma oder Exitus reichen. Die IARC – die Internationale Agentur für Krebsforschung – quälte uns jetzt mit dem Hinweis auf das Darmkrebsrisiko von Fleisch und Wurst, sie wird uns nächstens auch den Alkohol vergällen. Denn Kartoffelschnaps verursacht Leberzirrhose, Speiseröhrenkrebs, Magenkrebs und die Kartoffelschnapspest.
Der Kartoffelkrebs hingegen lässt sich nicht auf den Alkoholkonsum zurückführen. Er rangiert vielmehr auf der Liste der Kartoffelschädlinge, ebenso wie die Weißhosigkeit, die Schwarzbeinigkeit, der Silberschorf, die Schleimkrankheit und das Tabak-Rattle-Virus, die Grüne Pfirsichblattlaus, die Wintersaateule und das Stengelälchen. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, welch ein Reichtum an handfester Sprache in solchen Listen steckt? Daraus erklärt sich, glaube ich, das Faible einiger Deutschlehrer für eine Politik, die Artenvielfalt hochhält und den Pestizideinsatz kritisiert. Und es ist nur allzu verständlich, dass die Bundesgesetzgebung Verordnungen geschaffen hat, der deutschen Sprache diese Schätze zu erhalten!
Und damit bin ich beim Thema. Denn die Pflanzkartoffelverordnung stand jetzt im Bundesrat zur Änderung an. Der Änderungsentwurf der Bundesregierung ließ, zumindest in Niedersachsen, keine Fragen offen. Zum Verständnis sollte man wissen, dass jede zweite in Deutschland produzierte Kartoffel in niedersächsischer Erde gedeiht. Wir kennen uns aus. Das Niedersachsenross äppelt Erdäpfel! Und deshalb wage ich die Behauptung, dass das bekannte Kartoffeltheorem, wonach die Dümmsten die dicksten haben, jedenfalls nicht für die Antragstellung im Bundesrat gilt. Diejenigen, die gestellt wurden, kamen nicht aus Niedersachsen, und sie waren nicht gut. Der Föderalismus mag, dank seines austarierten Verhältnisses von Checks and Balances, die bestmögliche Lösung zur Wahrung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein. Aber längst nicht alles, was der Bundesrat beschließt, ist deshalb schon Ackergold.
So wurde bezüglich der Pflanzkartoffelverordnung beschlossen, zweitklassige Ware als erstklassige deklarieren zu dürfen. Das wurde zwar bekömmlicher formuliert, damit sichs leichter schlucken lässt, bleibt aber dennoch Täuschung. Es wurde außerdem beschlossen, die Nennung von „Rhizoctonia mit Wipfelrollern und Fußvermorschung“ aus den Kontrolllisten zu streichen. Verständlich: niemand mag morsche Füße. Aber erledigt sich ein Problem, indem man es aus den Listen streicht? Und es wurden Textpassagen beschlossen, die der Vertreter der Bundesregierung schlicht als „überflüssige Doppelung“ qualifizierte. Redundanz hat ja was für sich: Sie hilft morschen Hirnen und eingeschlafenen Füßen, doch noch etwas mitzubekommen. Für dieses Beratungsergebnis gilt aber jedenfalls, was Kretschmann mit seinem Kartoffelsack sagen wollte: nicht alles, was relevant tut, ist es auch.