Antje Niewisch-Lennartz: Verbraucherschlichtung ist guter Anlass, auch das gerichtliche Verfahren zu verbessern
Vorschlag auf Justizministerkonferenz angekündigt „Verbraucher-Schlichtung: Meilenstein des Verbraucherschutzes oder Rückzug der Justiz?“.…

Vorschlag auf Justizministerkonferenz angekündigt
- Ministerin Antje Niewisch-Lennartz bei ihren einführenden Worten
- Im Diskussionsrund Renate Künast und Monika Nöhre, am Rednerpult begrüßt Niedersachsens Dienststellenleiter Michael Pelke
- Erste Runde mit Gerd Billen
- Prof. Dr. Gerhard Wagner bei seinem Impulsvortrag
- Renate Künast, MdB, und Vorsitzende des Rechtsausschusses hört konzentriert zu
„Verbraucher-Schlichtung: Meilenstein des Verbraucherschutzes oder Rückzug der Justiz?“. Mit dieser Frage haben sich die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz, der Staatssekretär im Bundesjustizministerium Gerd Billen, die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag Renate Künast, der Präsident des OLG Braunschweig Wolfgang Scheibel und andere Expertinnen und Experten in einer Podiumsdiskussion in der Landesvertretung befasst.
Hintergrund der Diskussion ist das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, mit dem die ADR-Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt werden soll. Dieses befindet sich gerade im Gesetzgebungsverfahren. Die Medien haben den Regierungsentwurf überwiegend positiv aufgenommen und betonen die Chancen aus Verbrauchersicht. Die bisherigen Erfahrungen mit Verbraucherschlichtung sind überwiegend positiv. Es mehren sich aber die kritischen Stimmen. Von „Schattenjustiz“ ist die Rede, vom „Rechtsschutz zweiter Klasse.“ Damit rückt das Verhältnis zur Justiz in den Blick.
In ihrer Einführungsrede stellte Niewisch-Lennartz klar, dass der Ausgangspunkt für die Richtlinie nicht eine Kritik am gerichtlichen Verfahren gewesen sei. Für dieses habe die Europäische Union ohnehin keine Regelungskompetenz. Bei der Umsetzung in nationales Recht sei man aber nicht gehindert auch das gerichtliche Verfahren mit in den Blick zu nehmen. Es käme darauf an, die Stärken der Justiz noch weiter zu stärken und sorgfältig zu prüfen, aus welchen positiven Erfahrungen der Schlichtungswirtschaft man für das gerichtliche Verfahren lernen könne. Nach Ansicht der Justizministerin gehöre auch die Frage auf dem Prüfstand, ob man einen besonderen Verbraucherprozess benötige. Sie kündigte an den Punkt auf der Justizministerkonferenz mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu erörtern.
In die gleiche Richtung argumentierte auch Prof. Dr. Gerhard Wagner, Humboldt-Universität zu Berlin, in seinem Impulsbeitrag. Die Sorge, die Verbraucherschlichtung könne den Zivilgerichten „das Wasser abgraben“, bezeichnete er als übertrieben. Jedenfalls ließe sich das aus den Statistiken nicht herleiten. Er begrüßte, dass sich die staatliche Justiz dem Wettbewerb mit Mechanismen alternativer Streitbeilegung stelle. Versuche, private Streitbeilegungsmechanismen zu behindern, sieht Wagner als falschen Weg.
In einem weiteren Impulsvortrag präsentierte die ehemalige Präsidentin des Kammergerichts in Berlin und seit kurzem selbst Schlichterin, Monika Nöhre, mögliche Vorschläge zur Reform des Zivilprozessrechts. Dieses umfasst zum Beispiel die Einführung eines umfassenden Verbrauchergerichtsstandes, den Ausschluss des schriftlichen Vorverfahrens und ein vereinfachtes Beweisverfahren.
In der anschließenden Diskussion warb Staatssekretär Gerd Billen für den Regierungsvorschlag zur Umsetzung der Verbraucherschlichtung. Was die Einbindung der Justiz anbelangt, zeige er große Offenheit. Ein besonders wichtiger Aspekt sei die Freiwilligkeit des Verfahrens. Dies sei nach dem Regierungsvorschlag geben. Die Bundesabgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses Künast beschrieb, dass es für Menschen die Möglichkeit geben müsse, auch „unkompliziert“ rechtliches Gehör zu bekommen, ohne gleich das ganze Instrumentarium der Zivilprozessordnung einschließlich „Versäumnisurteil“ zu bemühen. Wohl gemerkt müsse aber auch dabei die Qualität gewährleistet werden.
Der Präsident des OLG Braunschweig Scheibel vertrat die Ansicht, dass die Justiz sehr wohl einen Anlass habe, sich zu fragen, weshalb die Nachfrage zurückgehe. Gerade um die Wahlfreiheit zwischen privater Streitschlichtung und öffentlicher Justiz auch künftig zu gewährleisten, müsse sich die Justiz weiter verbessern. Dazu bräuchte es eine „handfeste Evaluation“.
In der weiteren Diskussion, an der sich Rechtsanwalt Michael Plassmann, Jutta Gurkmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband und Felix Braun vom Zentrum für europäischen Verbraucherschutz beteiligten, wurden einzelne Kritikpunkte an der Ausgestaltung des Regierungsentwurfes zur Verbraucherschlichtung geäußert. Einig waren sich fast alle Teilnehmer, dass die Schlichter über eine juristische Ausbildung verfügen müssen. Dies sei bisher nicht vorgesehen. Ein anderes Problem sei die mangelnde Transparenz der Streitschlichtung und der fehlende Beitrag zur Fortbildung des Verbraucherschutzrechts. Gelegentliche anonymisierte Entscheidungsdatenbanken, wie bereits von manchen Ombudsleuten betrieben, könnten diese Schwachstelle nicht wirklich kompensieren.
Abschließend: Inwieweit die in der Diskussion geäußerten Vorschläge zur Verbesserung des vorliegenden Regierungsentwurfes aufgegriffen werden, wird das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigen. Bezogen auf mögliche Reformschritte der Justiz und des Zivilprozessrechts gewinnt die Debatte gerade an Fahrt. Dazu hat die Veranstaltung in der Landesvertretung erfolgreich einen Beitrag geleistet.