Niedersachsen intensiv – über und unter Tage
Auf Einladung der Landesvertretung besuchten Berliner Journalisten Niedersachsen „Der gestrige Tag war…

Auf Einladung der Landesvertretung besuchten Berliner Journalisten Niedersachsen
- Beim Rundgang durch das hochmoderne Niedersächsische Forschungszentrum für Fahrzeugtechnik in Braunschweig
- Auf dem Gelände der Wolfsburg AG besichtigten die Gäste auch dieses Gerät, mit dessen Hilfe mehrere medizinische Untersuchungen gleichzeitig vorgenommen werden können
- Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius im Gespräch mit den Journalisten vor Ort in Friedland
- Sie wollen in Deutschland leben und arbeiten: Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten Syriens
- Im Infozentrum erläutern BfS-Präsident Wolfram König und Umweltminister Stefan Wenzel den Aufbau des Salzbergwerks Asse II anhand eines Modells
- Die Reisegruppe aus Berlin vor der Einfahrt in den Schacht
- Wolfram König und Umweltminister Stefan Wenzel erklären unter Tage die Situation in dem Bergwerk, in dem radioaktive Abfälle eingelagert werden
- Im Gästehaus der Landesregierung in Hannover diskutierte Ministerpräsident Stephan Weil mit den angereisten Journalisten
„Der gestrige Tag war spannend, lehrreich, so einer von der Sorte, dass ich abends mal wieder denke: Was hast Du für ein Privileg mit deinem Beruf!“ Mit diesen Worten schilderte einer der teilnehmenden Journalisten seine Empfindung nach dem ersten Tag der Niedersachsenfahrt, die kürzlich auf Einladung der Landesvertretung stattfand und rund 20 Journalisten aus Berlin nach Niedersachsen führte, begleitet unter anderem vom Bevollmächtigten des Landes, Staatssekretär Michael Rüter.
Erste Station dieser Reise war das „Grenzdurchgangslager“ Friedland bei Göttingen, das heute als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber dient und wie alle anderen Einrichtungen dieser Art völlig überfüllt ist. Innenminister Boris Pistorius und der Leiter der Stelle, Heinrich Hörnschemeyer, schilderte die Lage. Eigentlich ist das historische Lager, das 1945 auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht zur Durchschleusung von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern eingerichtet wurde, nur für 700 Menschen ausgelegt. Inzwischen drängen sich dort fast 4.000 Menschen. Viele schlafen auf Feldbetten und Matratzen, die sogar in Fluren und Büros ausgelegt wurden oder in notdürftig hergerichteten Zelten. Derzeit sind es vor allem Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Eritrea, die in Friedland darauf warten, ihre Asylanträge stellen zu können.
Doch das dauert. Wochen und Monate. Ein Flüchtling, ein Angehöriger der im Irak verfolgten religiösen Minderheit der Jesiden, zeigte den Journalisten ein offizielles Schreiben vor. Danach kann er im März nächsten Jahres überhaupt erst seinen Antrag auf Asyl stellen, vorher kann sich das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht mit ihm befassen. Ob er bis dahin noch in Friedland ist oder zwischenzeitlich irgendwo in Niedersachsen einer Gemeinde zugewiesen wurde, ist ungewiss. „Bei uns werden die Flüchtlinge registriert und ärztlich untersucht“, berichtete Hörnschemeyer. Schon das erweist sich oft als schwierig und langwierig, vor allem, wenn die Betroffenen keine Papiere mit sich führen oder auch falsche Angaben zur ihrer Person und Herkunft machen.
Die drangvolle Enge in dem Lager, das Warten, die Unsicherheit der Flüchtlinge, was mit ihnen geschieht und das Aufeinandertreffen von Menschen aus zum Teil höchst unterschiedlichen Kulturen und sozialen Schichten führen zu Spannungen, die sich ab und an entladen. Rangeleien und Schlägereien sind nicht gerade selten. „Die meisten Flüchtlinge haben einen Höllentrip hinter sich, ihre Nerven liegen blank“, weiß Hörnschemeyer. Er selbst scheint völlig unaufgeregt und kontrolliert zu agieren. Seine langjährige Erfahrung – er ist seit 24 Jahren in Friedland tätig – hilft ihm dabei.
Im Gespräch mit fünf syrischen Flüchtlingen erfuhren die Journalisten näheres über deren Motive und Hoffnungen. Keiner von ihnen erwartet eine Wende zum Besseren im bürgerkriegsgeplagten Syrien. Alle wollten deshalb nach Deutschland – und auch nur nach Deutschland. Dafür haben sie Schleusern bis zu 10.000 € bezahlt, um über die Türkei nach Europa und über den Balkan dann bis nach Deutschland zu kommen. Jetzt hoffen sie hier auf Arbeit und auf ein Leben ohne Krieg.
Die zweite Station der Reise führte die Teilnehmer dann in den kleinen Höhenzug Asse bei Wolfenbüttel und hier auch gleich unter Tage in das ehemalige Salzbergwerk Asse II, das in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts angeblich als Versuchsbergwerk für die Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen genutzt wurde. Tatsächlich war das Bergwerk damals die einzige Abfalldeponie für radioaktive Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland. Rund 47.000 Kubikmeter radioaktive Abfälle wurden damals dort eingelagert, der größte Teil stammte aus Anlagen der Kernkraftwerksbetreiber E.on, Vattenfall, RWE und EnBW. Die Abfälle wurden größtenteils in Fässern angeliefert und in verschiedenen Kammern des Bergwerks eingelagert, die dann mit Beton und Salzabraum verfüllt wurden. Die davon ausgehende Strahlenbelastung wird zwar nur auf ein 200stel des radioaktiven Inhalts eines Castor-Behälters geschätzt, doch die tatsächliche Gefährdung für die Umwelt ist deshalb nicht vom Tisch. Das Bergwerk, so erfuhren es die Gäste aus Berlin vom Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, gilt als instabil. Zulaufendes Wasser muss ständig abgepumpt werden. Die seinerzeit noch nach Bergrecht und zum Teil undokumentiert und unzureichend eingelagerten Abfälle sollen – so sieht es der Stilllegungsplan für das Bergwerk vor – rückgeholt und dann in ein reguläres Endlager für Atommüll verbracht werden.
BfS-Präsident König und der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel erläuterten den Journalisten unter Tage den Stand der Vorbereitungen, die sich noch in einem Anfangsstadium befinden. Wenn alles glatt geht, werden die Abfälle 2030 aus dem Bergwerk geholt und zunächst in ein noch zu errichtendes Zwischenlager gebracht. Denn dass in 15 Jahren schon ein für alle Abfälle geeignetes Endlager zur Verfügung stehen wird, erwarten selbst die größten Optimisten nicht.
Zum Abschluss des ersten Tages trafen die Hauptstadtkorrespondenten dann in Hannover mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil zusammen. Hauptthema war die Situation bei Volkswagen nach dem kürzlich bekannt gewordenen Betrug beim Einhalten der amerikanischen Abgaswerte für Dieselmotoren. Das Land Niedersachsen hält bekanntlich Anteile an dem Unternehmen und der Ministerpräsident ist Mitglied des VW-Aufsichtsrates. Von dem Einsatz der betrügerischen Software hat er aber erst wie die meisten anderen aus den Medien erfahren. Seitdem ist der Ministerpräsident in einem doppelten Krisenmodus, wie er den Gästen erläuterte: Flüchtlingskrise und VW-Krise beherrschen jetzt seine Arbeitstage.
Der zweite Tag der Reise führte die Journalisten aus Berlin dann zunächst in die Forschungszentren für Fahrzeugtechnik und dann für Luft- und Raumfahrt nach Braunschweig – beides technologische Leuchttürme der Mobilitätsforschung in Niedersachsen. Auch hier ging es unter anderem um VW und um die Frage, ob die strengen Abgaswerte nicht auch ohne betrügerische Software hätten erreicht werden können – was die Braunschweiger Forscher bejahten, allerdings dann womöglich zu höheren Produktionskosten.
Die letzte Station auf dem Heimweg nach Berlin war dann der Campus der Wolfsburg AG in der Hauptstadt von Volkswagen. Dort stellte Julius von Ingelheim in seiner Doppelrolle als Vorstandssprecher der Wolfsburg AG und der Allianz für die Region die Vorzüge der Region zwischen Wolfsburg und Goslar, Peine und Helmstedt heraus. Eine solche Dichte von Forschungseinrichtungen und forschender Industrie finde man in Deutschland und Europa kaum noch einmal. Allerdings habe ausgerechnet die Kompetenzregion in Sachen Mobilität in der Verkehrsinfrastruktur Nachholbedarf, erklärte von Ingelheim und verwies auf die Themen Weiterbau der A 39 und den dringend benötigen zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke zwischen Braunschweig und Wolfsburg.
Die aktuelle Niedersachsenfahrt nahm die Tradition der vormaligen „Nordlichtreisen“ wieder auf, bei denen seit den 1980er Jahren Journalisten der Bundespressekonferenz Land und Leute in kurzen und kompakten Reisen besser bekannt gemacht wurden.
Fotos: Georg Lopata