Gespräch mit Antje Niewisch-Lennartz zu Justiz und Föderalismus
Auswirkungen des kompetitiven Föderalismus auf die Justiz „Ein Bundesstaat, 16 Länder, 17…

Auswirkungen des kompetitiven Föderalismus auf die Justiz
- Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz gibt den Impuls
- Angela Teubert-Soehring, Vorsitzende der AG Justiz, bei ihrem Statement
- Prof. Dr. Wolfgang Ewer steht Rede und Antwort
„Ein Bundesstaat, 16 Länder, 17 Justizministerinnen und -minister und jede Menge Unterschiede in der Organisation, sei es bei den Verfahrenslaufzeiten, bei den Sicherheitskontrollen im Gericht, beim Entlassungsmanagement im Justizvollzug oder unterschiedlichen funktionellen Zuständigkeiten. Aber wieviel Unterschiedlichkeit verträgt die Justiz?“, so begann der Einleitungstext in der Einladung zu der Veranstaltung am 15. Juni 2015 in der Niedersächsischen Landesvertretung. Zu der Diskussion dieser Frage haben die Arbeitsgemeinschaft niedersächsischer Justizfachverbände (AG Justiz), das Niedersächsische Justizministerium und die Landesvertretung Berlin eingeladen. In der AG Justiz sind die meisten Berufsvertretungen/Justizgewerkschaften in Niedersachsen organisiert. Ein solcher Zusammenschluss ist eine niedersächsische Besonderheit und bundesweit einmalig. Darin vertreten sind Richter, Rechtspfleger, Justizwachmeister, Strafvollzugsbedienstete, Sozialarbeiter und Leiter von Justizvollzugsanstalten.
In seiner Begrüßung hieß Niedersachsens Dienststellenleiter Michael Pelke in Vertretung von Staatssekretär Michael Rüter die Gäste aus der niedersächsischen Justiz herzlich in Berlin willkommen. Mit der Veranstaltung wolle die Landesvertretung deutlich machen, dass „die Landesvertretung auch ein Ort ist, an dem sich die Justiz zu Hause fühlt.“ Weiter hob er die Bedeutung des Themas hervor: „Denn natürlich ist es ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie, dass der Zugang zum Recht überall und für Alle gewährleistet werden muss.“.
Der anschließenden Begrüßung durch die Vorsitzende der AG Justiz, Angela Teubert-Soehring, folgte ein Impulsvortrag der niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz. Darin stellte sie fest, dass die Justiz unterhalb der Ebene der Bundesgerichte und Generalbundesanwaltschaft bürgernah und effektiv am besten durch die Länder zu steuern sei. Die Forderung nach einer „bürgernahen“ Justiz sei deshalb so relevant, weil das Vertrauen der Menschen eine zentrale Ressource der Justiz sei. „Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger der Justiz vertrauen, werden sie sie in Anspruch nehmen und ihre Entscheidungen akzeptieren.“, so Niewisch-Lennartz.
Bei Bürgernähe gehe es aber auch um die räumliche Nähe; das heißt, um die Frage, ob und wie ein Rechtsuchender ein Gericht tatsächlich erreichen könne. Niewisch-Lennartz verwies darauf, dass es keine länderübergreifenden Standards für die Anzahl der Gerichte pro Einwohner oder auch pro Hektar Fläche gäbe und auch nicht geben müsse. Die Länder gingen mit ihren Gerichtsstrukturen höchst unterschiedlich um und antworteten damit auf die Bedürfnisse ihrer Regionen. Die Gerichtsstrukturen in den Ländern haben sich seit der Reichsgerichtsreform des späten 19. Jahrhunderts unterschiedlich weiterentwickelt. Sie haben auf unterschiedliche Weise die lokalen Gemeinschaften am Gerichtsstandort selbst geprägt. Gerichte sind an vielen Orten integrierende Bezugspunkte der örtlichen Identität. Aber diese Bedeutung ist nicht überall gleich und macht sich nicht an gleichen Strukturen fest. Wie die Politik sich zu solchen Entwicklungen stellt und in Deckung bringt mit den Bedürfnissen von regionalen Gemeinschaften auch mit Blick auf die Justiz, möchte die Ministerin weiterhin auf Landesebene beantwortet wissen.
Niewisch-Lennartz betonte, sie sei keine Anhängerin der Idee eines kompetitiven Föderalismus im Bereich der Justiz. Die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für die Bereiche Besoldung und Versorgung auf die Länder sei einen Fehler gewesen. Dass das Bundesverfassungsgericht nun eine Untergrenze der Richterbesoldung definieren musste, zeige mehr als deutlich, dass die Idee des kompetitiven Föderalismus im Besoldungsbereich gescheitert ist. Nun habe sich aber die Schere in den neun Jahren seit dieser Entscheidung so weit geöffnet, dass sie keinen Weg zurück sehe.
Am Ende ihres Vortrags zog die Ministerin ein Fazit, das in der anschließenden Diskussion von unterschiedlichen Blickrichtungen betrachtet und von den Diskutanten überwiegend geteilt wurde: Die Justiz brauche mehr kooperativen Föderalismus und weniger Primat des Wettbewerbs und der Ökonomie. Dann könne sie ihren Verfassungsauftrag auch in Zukunft erfüllen und den Rechtsstaat für die Bürgerinnen und Bürger lebendig halten.
Die Moderation der anschließenden Podiumsdiskussion übernahm der Journalist und stellvertretende Vorsitzende der Landespressekonferenz Niedersachsen Peter Mlodoch. An der facettenreichen und intensiven Diskussion beteiligten sich Prof. Ulrich Battis (Berlin), Prof. Wolfgang Ewer, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, Dr. Johannes Fechner, MdB, Rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens-Niklas Krause, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der niedersächsischen Justizfachverbände sowie Helge Limburg, MdL, Rechtspolitscher Sprecher Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag.