Gentechnisch veränderte Organismen: Niedersachsen will bundeseinheitliche Regelung
„Opt-Out“ ermöglicht Ausstieg Zwei Vorlagen, die auf den ersten Blick ganz ähnlich…

„Opt-Out“ ermöglicht Ausstieg
Zwei Vorlagen, die auf den ersten Blick ganz ähnlich aussehen: In beiden Fällen geht es um gentechnisch veränderte Organismen (GVO), für die eine EU-weite Zulassung besteht. Und in beiden Fällen will die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten freistellen, die Nutzung dieser GVO auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu untersagen. Das nennt man „Opt out“: der Mitgliedstaat kann dann „optieren“ – wählen – vom gemeinsamen europäischen Weg abzuweichen. In dem ersten Fall geht es um die EU-Richtlinie (EU) 2015/412 vom 2. April 2015, die den Mitgliedstaaten freistellt, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihrem Hoheitsgebiet zu untersagen.
Niedersachsen hat zusammen mit Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein im Bundesrat einen Vorschlag vorgelegt, wie diese EU-Verordnung in nationales Recht umgesetzt werden sollte.
Im zweiten Fall geht es nicht um den Anbau von GVO, sondern um Lebensmittel und Futtermittel, die aus GVO hergestellt wurden, also um Waren. Auch hier will die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten freistellen, diese Produkte auf ihrem Hoheitsgebiet zu untersagen. Trotz dieser scheinbaren Ähnlichkeit der Vorlagen kommen Niedersachsen und auch der Bundesrat zu völlig unterschiedlichen Bewertungen der beiden Vorschläge. Warum?
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die niedersächsische Landesregierung will keine gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tiere in Deutschland. Bekannt ist, dass auch die weit überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger so denkt. Die sauberste und klarste Lösung wäre deshalb, GVO in Landwirtschaft und Ernährung pauschal zu verbieten. Das aber lassen die Welthandelsverträge (WTO), die Deutschland unterschrieben hat, nicht zu.
Verboten werden darf nur, wenn solide wissenschaftlich belegte Gründe gegen ein bestimmtes GVO sprechen. Es muss deshalb jeder Einzelfall von der zuständigen europäischen Behörde EFSA geprüft und zugelassen werden. Die zweitbeste Lösung wäre daher, auf europäischer Ebene das Zulassungsverfahren so zu reformieren, dass es zu Ergebnissen führt, die von allen verstanden werden und deshalb zu klaren Mehrheiten im zuständigen Ausschuss führt. Dazu müsste die Risikobewertung im Zulassungsverfahren deutlich verbessert werden. Zugelassen werden dürfte nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung der Mitgliedstaaten. Statt aber solche sinnvollen Reformen vorzuschlagen wirft die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten die Puppenlappen vor die Füße: „Macht euren Kram doch selbst!“
Im Falle des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen mag das noch angehen. Ob auf einem deutschen Acker GVO stehen oder nicht, lässt sich feststellen und ggfs. beanstanden. Deshalb auch hat Niedersachsen vorgeschlagen, dass Deutschland diese „Opt Out“-Möglichkeit nutzt. Und zwar bundesweit einheitlich. Damit es zu keinem Flickenteppich von 16 unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer kommt. Und damit die Bundesregierung es übernimmt, gerichtsfest und WTO-kompatibel zu begründen, warum es keine GVO in Deutschland geben soll. Weil die Bundesregierung hier zögert und diese Aufgabe den Ländern zuschieben will, hat Niedersachsen die Initiative ergriffen und ein Bundesgesetz zur Einbringung in den Bundestag vorgeschlagen, das ein bundesweit einheitliches Vorgehen bei Anbauverboten vorsieht. Der Bundesrat hat den Vorschlag Niedersachsens in seiner jüngsten Sitzung den Ausschüssen zur weiteren Beratung zugewiesen.
Im Falle des Warenverkehrs mit Lebens- und Futtermitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen sieht die Sache anders aus. In Europa bestehen offene Grenzen und ein gemeinsamer Binnenmarkt. Niemand ist in der Lage zu kontrollieren, was aus Rotterdam ins Bundesgebiet rollt. Es sei denn, es würden wieder Grenzkontrollen eingeführt. Ein auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränktes Verbot ist schlicht nicht durchsetzbar. Hinzu kommen rechtliche Bedenken: dem Vorschlag fehlen Gründe, die es Deutschland erlauben würden, ein solches Opt Out rechtssicher gegenüber den WTO-Partnern zu begründen. Und schließlich: der freie Warenverkehr im Binnenmarkt ist einer der Grundpfeiler der EU. Diesen in Frage zu stellen, widerspricht dem Vertrag und allen Prinzipien, die die Europäische Kommission sonst eisern verteidigt.
Der Bundesrat lehnt deshalb diesen Vorschlag ab. Auch das Europäische Parlament hat angekündigt, ihn zurückzuweisen. Aus der Sicht des Bundesrates bedarf der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen in der EU im Hinblick auf die fehlende Akzeptanz in den Mitgliedstaaten einer grundlegenden Änderung des Zulassungsverfahrens. Er weist darauf hin, dass schon seit vielen Jahren grundsätzliche Kritik am Zulassungsverfahren auf EU-Ebene für gentechnisch veränderte Pflanzen sowie Lebens- und Futtermittel geäußert wird. Der Bundesrat bittet vor diesem Hintergrund die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für eine Änderung des Zulassungsverfahrens von gentechnisch veränderten Organismen in dem Sinne einzusetzen, dass insbesondere die Kommission nicht ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten GVO zulassen kann.