MP Stephan Weil: Bildung ist die wichtigste gesellschaftspolitische Herausforderung
Bildung – gemeinsam in die Zukunft „Deutschland braucht eine gesamtstaatliche Bildungsstrategie“: Dieses…

Bildung – gemeinsam in die Zukunft
- Ministerpräsident Stephan Weil bei seinem Impuls
- Auch die Gäste diskutierten mit
- In der Bildungspolitik kommt es auf die Balance an
- Die komplette Podiumsrunde mit Moderatorin Ute Welty
- Frage aus dem Publikum
- Nur 20 % der Betriebe bilden aus, kritisierte DGB-Vize Elke Hannack
- Prof. C. Katharina Spieß (mit Mikro) und Karl-Wilhelm Steinmann im Dialog
- Staatssekretär Michael Rüter eröffnete die Podiumsveranstaltung
- Stephan Weil erläuterte seine Forderung nach einer Bildungsstrategie
- MP Stephan Weil in der Podiumsdiskussion
- Nachdenklich (v.l.n.r.): Dr. Achim Dercks, Elke Hannack, MP Stephan Weil
- Verwies auf Zahlen und Statistikmaterial: Philipp Lergetporer (rechts) vom Ifo-Institut
- MP Stephan Weil geht auf die Fragen der Moderatorin ein
„Deutschland braucht eine gesamtstaatliche Bildungsstrategie“: Dieses Fazit haben elf renommierte Bildungsexperten gezogen, die im Herbst 2014 auf Bitten des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil eine Analyse des deutschen Bildungssystems vorgenommen und konkrete Verbesserungs-, Umsetzungs- und Finanzierungsschritte benannt haben.
Im Rahmen einer Abendveranstaltung, zu der die Landesvertretung in ihrer Reihe „Ross trifft Bär“ eingeladen hatte, griff Stephan Weil mit Vertretern der Sozialpartner und ausgewiesenen Bildungswissenschaftlern die Ergebnisse und möglichen Konsequenzen der Analyse „Deutschland braucht eine gesamtstaatliche Bildungsstrategie“ auf und diskutierte sie öffentlich.
Niedersachsens Bevollmächtigter, Staatssekretär Michael Rüter, machte in seinem Grußwort auf einen Missstand des deutschen Bildungswesens aufmerksam: Die fehlende Chancengerechtigkeit für die sogenannten bildungsfernen Schichten. Anhand der steinigen Bildungsbiographie von Marco Maurer, der entgegen seiner Begabungen und Neigungen zunächst die Hauptschule besuchte und eine Ausbildung zum Molkereifachmann abschloss, zeigte er auf, dass in Sachen Bildungsgerechtigkeit noch einiges im Argen liegt. Marco Maurer ging letztlich doch seinen eigenen Weg. Er machte Abitur, studierte und ist heute ein vielfach mit Preisen ausgezeichneter Journalist.
Ministerpräsident Stephan Weil machte in seinem Impuls deutlich, dass er eine gesamtstaatliche Bildungsstrategie für unabdingbar hält. „Bildung ist die wichtigste gesellschaftspolitische Herausforderung unseres Landes“, so Weil in seinen Worten. Eine Aussicht auf Erfolg gebe es nur, wenn es zum Thema eine breite gesellschaftliche Diskussion und letztlich einen Konsens gebe. So appellierte er an die Wirtschaftsverbände, beim Thema Bildung mehr Druck auf die Politik auszuüben. Großen Reformbedarf im Bildungssystem sieht Weil u.a. in den Bereichen Kita, Ganztagsschule, Vereinbarung von Familie und Beruf sowie einer stärkeren und auch früheren Berufsorientierung.
„Im Hinblick auf die Finanzierung stehen die Länder vor einem Dilemma. Auf der einen Seite müssen sie angesichts der Schuldenbremse sparen, auf der anderen Seite aber mit Blick in die Zukunft in Bildung investieren“, zeigte Weil auf. Hier nahm er den Bund in die Verantwortung, der nur einen Bruchteil von 7% der Bildungsausgaben übernehme, aber ganz klar ein Nutznießer der Bildungsfrüchte sei. Stephan Weil forderte in diesem Zusammenhang ein Kooperationsgebot von Bund und Ländern im Bereich der Bildung, die auch eine höhere finanzielle Beteiligung des Bundes an den Bildungsausgaben zur Folge hat. Hier zitierte er John F. Kennedy: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung.“
Die Bildungsökonomin Prof. Dr. C. Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nannte Ungeduld als ihren Beweggrund, der Bitte des niedersächsischen Ministerpräsidenten nachzukommen und eine Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswesens vorzunehmen. Aus der empirischen Bildungsforschung gebe es genügend Erkenntnisse über die Defizite und Herausforderungen, aber an der Bekämpfung durch die Politik hapere es. Spieß sprach sich für eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für Bildung aus. Langfristig handele es sich um ein Sparprogramm, denn über den Rückfluss über Steuern hinaus hätten gut ausgebildete Menschen beispielsweise auch ein anderes Gesundheitsverhalten und ein anderes Demokratieverständnis. Die wichtigste Stellschraube seien die Lehrenden, die gut aus- und weitergebildet werden müssten.
Philipp Lergetporer, PhD, der am Ifo-Institut und Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München tätig ist, bezifferte die Kosten unzureichender Bildung für Staat und Gesellschaft – hochgerechnet auf 80 Jahre – mit 2,8 Billionen Euro. 20% aller Deutschen seien nicht ausreichend gebildet, sie haben beim Rechnen und Lesen ein Grundschulniveau. Letztlich sei gute Bildung nicht nur eine moralische, sondern auch eine wirtschaftliche Pflicht.
Der Präsident der Handwerkskammer Hannover Karl-Wilhelm Steinmann machte sich Sorgen um die Duale Berufsbildung in Deutschland, die er bedroht sieht. Sie sei aber das Markenzeichen des deutschen Ausbildungssystems und müsse gleichrangig und gleichwertig sein. Aus diesem Grund sprach er sich für einen Masterplan Duale Berufsausbildung aus.
Die stellvertretende Vorsitzende des DGB Elke Hannack sprach sich auch für ein Kooperationsgebot im Bereich Bildung aus, wobei dann aber der Bund als Mitfinanzier auch mitreden können müsse. Wichtig seien zudem gleiche Standards, an dieser Stelle sei der deutsche Bildungsföderalismus kontraproduktiv. Sie mahnte gegenüber der Wirtschaft die Fachkräftesicherung über eigene Ausbildung an. Dem DGB bereite Sorge, dass man die Schwächeren nicht mehr mitbekomme. So hätten die meisten Hauptschüler keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Wirtschaft müsse wegkommen von dem absoluten Kriterium der Bestenauslese. Dennoch betonte sie die Wichtigkeit der Sozialpartnerschaft, ein Akteur auf sich gestellt könnte nichts erreichen.
Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK, legte den Fokus auf die Förderung der Aufstiegsfortbildung und der beruflichen Bildung. Eine wichtige Aufgabe der Allianz für Aus- und Weiterbildung liege darin, den Wert der beruflichen Bildung für die Gesellschaft herauszustellen und zu sichern. Gelänge die Berufsorientierung bereits an der Schule, gäbe es weniger Studien- und Berufsabbrecher. Zudem könne es gelingen, dass mehr junge Menschen direkt in die Betriebe und weniger in Übergangssysteme kämen.
Fotos: Boris Trenkel