Können Kühe küssen?
Das Bovine Herpesvirus 1 soll getilgt werden Herpes: das ist etwas, was…

Das Bovine Herpesvirus 1 soll getilgt werden
Herpes: das ist etwas, was Teenager vom Küssen bekommen. So jedenfalls die landläufige Meinung, belegt zudem in William Shakespeares „Romeo und Julia“: „O’er ladies’ lips, who straight on kisses dream, which oft the angry Mab with blisters plagues, …“ (oder auch: „Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen, oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese, …“). Aber auch Rinder bekommen Herpes. Das ist der Hintergrund der BHV1-Verordnung, mit deren Änderung sich der Bundesrat in seinem jüngsten Plenum zu befassen hatte.
Nun ist es tierethologisch nicht zu belegen, dass sich Kühe auf der Weide küssen. Auch führt Rinderherpes nicht zur Bläschenbildung am Flotzmaul. Trotzdem scheint das Thema die Phantasie anzuregen und man muss sich fragen: warum? Wecken Wörter wie „Herpes“ oder „Akne“ peinliche Erinnerungen an die eigene Pubertät? Empfinden wir als schräg, wenn sich das gemeine Vieh Viren anmaßt, die wir für uns selber reserviert glaubten, weil sie in unserer Sozialisierung eine gewisse Rolle spielten? Quod licet jovi, non licet bovi? Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hier, wie so oft, um einen Fall klassischer Anthropozentrik handelt: Der Mensch sieht sich im Mittelpunkt, stellt sich als „Krone der Schöpfung“ über das Vieh. Er verfügt ja gerne auch über das Mit-Tier wie‘ s beliebt, getreu dem Kant’schen Spruch: „Nach der bloßen Vernunft zu urteilen hat der Mensch sonst keine Pflicht, als bloß gegen den Menschen (sich selbst oder einen anderen)“. Aus Tierrechts-theoretischer Sicht ist hier einzuwenden: Auch Rinder haben Rechte, und selbst das Recht, Herpes zu bekommen!
Die BHV-1-Verordnung hingegen, die jetzt lediglich in einigen unstrittigen (und ziemlich langweiligen) Punkten verschärft werden soll, folgt ganz eindeutig ausschließlich anthropozentrischen Nützlichkeitserwägungen: Das Bovine Herpesvirus 1 ist vollständig zu tilgen! Alle Rinder sind auf BHV-1 zu untersuchen. Blutserologische Untersuchungen sollen zwischen geimpften und infizierten Rindern unterscheiden. Rinder, die eine Antikörperreaktion auf das Virus zeigen, sollen unverzüglich aus dem Bestand entfernt werden. Die Tötung ansteckungsverdächtiger Rinder kann angeordnet werden. Kontakte zwischen BHV-1-freien Rindern und Rindern aus nicht-BHV-1-freien Regionen sind zu unterbinden. Übrigens: auch Niedersachsen soll bis Ende Mai diesen Jahres herpesfrei werden!
Aus der Sicht des Herpesvirus ist dieser Plan nicht nur bedenklich, er bleibt auch weit hinter naturethischen Überlegungen zurück. Die Diskussion um Tierrechte und Naturethik müsste – über das bloße Verhältnis Mensch – Tier hinaus – noch viel weitergetrieben werden: in Richtung Biozentrismus und Holismus. Und zum großen Albert Schweitzer, der sich als „Wille zum Leben inmitten von Willen zum Leben“ begriff. Dort gibt es dann konsequenterweise keinen Unterschied mehr in der Daseinsberechtigung zwischen Herpes, Ochs, Esel und Mensch; friedlich ruht das Lamm neben dem Löwen und der Amöbe. Und die BHV-1-Verordnung wäre ersatzlos zu streichen. Den Viren, Amöben und Naturethikern unter uns steht also wahrlich noch ein langer Marsch durch die Instanzen bevor.