Wohnen ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts
Tagung zum Existenzminimum Wohnung Wohnen ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist…

- Christian Armborst vom Niedersächsischen Sozialministerium begrüßte die Gäste der Tagung im Haus der Landesvertretung
- Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge
- Sabine Knickrehm, Richterin am Bundessozialgericht
- Dr. Christian von Malottki vom Institut Wohnen und Umwelt
- Nicole Hölscher, Region Hannover, berichtete aus der Praxis
- Gerd Goldmann vom Niedersächsischen Landkreistag
Tagung zum Existenzminimum Wohnung
Wohnen ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts! Mit diesem Motto eröffneten Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für die öffentliche und die private Fürsorge und Christian Armborst vom Niedersächsischen Sozialministerium die gemeinsame Fachveranstaltung zum Thema Angemessenheit der Unterkunftskosten im SGB II am 24.11.2014 in der niedersächsischen Landesvertretung. Die Wohnung gehört zum Existenzminimum, das der Staat sicherstellen muss. Aber bis zu welcher Höhe muss er dafür die Kosten übernehmen? Diese Frage ist Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten und gerichtlicher Urteile.
In der Praxis bestehen erhebliche Unsicherheiten, wie die abstrakten Anforderungen des Bundessozialgerichts an ein „schlüssiges Konzept“ in den Kommunen konkret umzusetzen sind und das Existenzminimum im Bereich Wohnen gerichtsfest bestimmt werden kann“, stellte Christian Armborst vor den mehr als 150 teilnehmenden Fachkräften der kommunalen Ebene, die mit der Bestimmung angemessener Unterkunftskosten befasst sind, sowie Vertreterinnen und Vertreter von Bundes- und Landesministerien, der Sozialgerichtsbarkeit und der Wohnungswirtschaft fest. Im Mittelpunkt der Tagung stand daher die Frage, welche Rahmenbedingungen ein sogenanntes schlüssiges Konzept erfüllen muss, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Bestimmung des Existenzminimums im Bereich des Unterkunftsbedarfs gerecht zu werden.
Sabine Knickrehm, Richterin am Bundessozialgericht stellte in ihrem Vortrag beeindruckend die Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit dar. Für die Bemessung der Kosten der Unterkunft –als einem weiteren Element des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums- ist ein geregeltes Verfahren einzuhalten. Hierbei sind u.a. die Verhältnisse der örtlichen Wohnungsmärkte auf methodisch verlässlicher und statistisch gesicherter Grundlage zu berücksichtigen. Dabei wurde erkennbar, dass die Rechtsprechung es keineswegs bei einer bloßen Kontrolle der von der Praxis gefundenen Ergebnisse belässt, sondern durchaus sich selbst bemüht, auf der Grundlage vorhandener Daten für die Erstellung von Mietspiegeln Maßstäbe für die Praxis zu entwickeln.
Im Anschluss nahm Dr. Christian von Malottki, Institut Wohnen und Umwelt, eine Bewertung der bisher in der Praxis umgesetzten sowie weiterer denkbarer Methoden aus wissenschaftlicher und statistischer Sicht vor. Er wies insbesondere auf die Konsequenzen bei der Methodenwahl (Bestands- oder Angebotsmieten), die regional sehr unterschiedlichen Standards vor allem bei den Wohnflächen und bei der Abgrenzung von Vergleichsräumen hin. Dabei wurde erkennbar, dass die Ermittlung von Angemessenheitsgrenzen unter Beachtung der Anforderungen an ein schlüssiges Konzept in der Praxis wohl nur mit externer wissenschaftlicher Unterstützung gelingen kann. Wie die anschließende Aussprache ergab, resultieren daraus Probleme, die nicht nur im finanziellen Aufwand, sondern auch darin bestehen, dass damit den Gutachtern auch die Aufgabe zuwächst, Wertungen zu treffen, die eigentlich die Verwaltung, wenn nicht gar der Gesetzgeber verantworten müsste.
Der Nachmittag der Tagung war der kommunalen Praxis vorbehalten. So berichteten Nicole Hölscher, Region Hannover, und André Oberdieck, Landkreis Göttingen, von ihren praktischen Erfahrungen mit der Anwendung des „schlüssigen Konzepts“ während Gerd Goldmann vom Niedersächsischen Landkreistag aufzeigte, an welchen Stellen die kommunalen Träger an den derzeitigen Anforderungen für ein schlüssiges Konzept scheitern. Die kommunalen Referenten machten deutlich wie schwierig es ist, ein Konzept zu entwickeln, das nicht nur den Anforderungen der Rechtsprechung entspricht, sondern auch den sozialpolitischen Anforderungen Rechnung trägt. Dazu kommt, dass bei größeren Kommunen regelmäßig mehrere Kammern des Sozialgerichts über entsprechende Klagen entscheiden, dabei aber durchaus zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen. Obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidungen, die hier zu einer Vereinheitlichung führen können, ergehen erst nach Jahren und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem schon längst wieder neue Gutachten zu neuen Angemessenheitswerten geführt haben.
Auswirkungen der Regeln zur Angemessenheit auf den Wohnungsmarkt führte Jens Schumacher vom Bundesbauministerium dem Publikum vor Augen. Hierbei standen die Entwicklung des Wohnungsmarkts im unteren Segment und die Konkurrenzsituation im Mittelpunkt, in der sich die Leistungsbeziehenden zu anderen Gruppen mit niedrigen Einkünften befinden (Studierende, Rentenbeziehende, Flüchtlinge). Herr Schumacher bestätigte im Übrigen die Vorbehalte gegen eine Heranziehung der Mietobergrenzen nach dem Wohngeldgesetz, die seiner Ansicht nach für die Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten ungeeignet sind.
Zum Abschluss der Veranstaltung versuchte ein hochkarätig besetztes Podium unter Moderation von Christian Armborst Eckpunkte für ein Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten auf wissenschaftlicher Grundlage festzumachen. Prof. Dr. Uwe Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Gerd Goldmann, Dr. Christian von Malottki und Jens Schumacher näherten sich dem Thema im Rahmen einer angeregten Podiumsdiskussion. Hierbei zeigte sich, dass die Kommunen, denen diese Aufgabe obliegt, Schwierigkeiten haben, insbesondere für den ländlichen Raum die nötigen Daten zu erheben, um daraus für Vergleichsräume Angemessenheitsgrenzen zu bestimmen. Insoweit ist der Gesetzgeber aufgerufen, die nötigen Rechtsgrundlagen zu schaffen. Allerdings sollte dem eine wissenschaftliche Abklärung vorausgehen, auf deren Grundlage dann geregelt werden kann, welche Daten zu erheben sind, die Kommunen ermächtigt werden, sie zu erheben und festgelegt wird, nach welchen Grundsätzen diese Daten auszuwerten sind. Als besondere Herausforderung an die Praxis stellte Herr v. Malottki die Schwierigkeit heraus, für die Neuanmietung von Wohnungen zu ausreichend hohen Grenzen zu kommen, ohne auf die regelmäßig niedrigeren Bestandsmieten kostensteigernd einzuwirken.
Insgesamt kamen die Teilnehmenden nach einer fachlich auf hohem Niveau geführten Diskussion zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber hier gefordert ist, für klare Grundlagen zu sorgen, die den Leistungsberechtigten und den Verwaltungen der Kommunen eine transparente und sichere Praxis ermöglichen.